Marco Melchior

Man muss sich im Leben zu helfen wissen.

Marco Melchior zieht seine Brille aus und steckt sie sich mit routiniertem Griff in die Haare. Der Blick seiner blauen Augen ist wach und aufmerksam. Zumindest scheint es so. Denn der 78-jährige Rentner ist praktisch blind. «Blind zu sein ist mühsam. Aber kein Hindernis», erklärt der gebürtige Bündner. «Man muss sich einfach zu helfen wissen.»

«Man muss sich im Leben zu helfen wissen.»

Zu helfen weiss sich Marco Melchior in den meisten Fällen bestens. So hat er zum Beispiel in der Küche einen Wandvorsatz leuchtend rot gestrichen, um sich beim Vorbeigehen nicht mehr dauernd die Schulter oder den Ellbogen zu stossen. Auch die Wand hinter dem Küchentisch strahlt im selben Rot. «Am Abend trinke ich manchmal gerne ein Glas Wein in der Küche. Leider passiert es mir öfter, dass ich dabei das Glas umstosse und aus Versehen den Wein verschütte. Auf der roten Wand gibt es jetzt nicht mehr ganz so schlimme Flecken», erzählt Marco Melchior lachend. Ganz allgemein verbringt der Hobby-Koch viel Zeit in der Küche. So hat er am Vortag eigenhändig und ohne fremde Hilfe zwei Liter Tomatensugo eingemacht. Auch sein Mittagessen – eine Insalata Caprese – hat er sich heute selber zubereitet. Kochen gelernt und die Liebe zum Kochen entdeckt hat er in einem speziellen Kochkurs für Menschen mit Hörsehbehinderung. Ein Hobby, das ihm auch die schwierige Zeit während der Pandemie erleichtert hat. «Ich habe viel gekocht und verschiedene Menüs ausprobiert. Zum Teil waren sie sogar essbar», lacht Melchior. Umso bewundernswerter ist seine Aussage, wenn man weiss, dass Marco Melchior aufgrund einer riskanten Hirntumor-Operation vor ein paar Jahren kaum mehr etwas riechen und schmecken kann.

Akzeptieren, was man nicht ändern kann

Eine unheilbare Augenkrankheit, eine lebensgefährliche Krebserkrankung, eine altersbedingte Hörbehinderung und diverse weitere Schicksalsschläge … Wie schafft es ein Mensch, bei einer solchen Biografie nicht die Freude am Leben zu verlieren? Marco Melchiors Antwort ist relativ einfach: «Ich muss eine Situation, die ich nicht ändern kann, voll und ganz akzeptieren. Und dann das Beste daraus machen. Hadern und zaudern bringt mich nicht weiter.» Schmunzelnd fügt er an: «Ich bin ein Bündner mit Sternzeichen Steinbock. Von denen sagt man, dass sie stur und widerstandsfähig sind. Da ist vielleicht was dran.»

Mit seiner beeindruckenden Stärke und seiner unerschütterlichen Einstellung zum Leben versucht Marco Melchior Menschen mit ähnlichen Lebensgeschichten zu motivieren und ihnen als positives Beispiel zu dienen. So engagiert er sich selbst aktiv beim SZBLIND, nimmt an vielen Veranstaltungen und Kursen teil und übernimmt in vielen Bereichen die Führung oder auch gleich die Organisation. Zum Beispiel hat er zusammen mit seiner ebenfalls sehbehinderten Lebenspartnerin einen Jass-Club gegründet.

Home-Trainer statt Rennvelo

Marco Melchior hatte schon immer Probleme mit Sehen und trug bereits als kleiner Bub eine Brille. Dass er an der bis heute unheilbaren Erbkrankheit Retinitis pigmentosa leidet, erfuhr er jedoch erst 1994 im Alter von 51 Jahren. Nur sieben Jahre später hatte sich seine Sehkraft bereits so stark verschlechtert, dass er seinen Fahrausweis abgeben musste. «Plötzlich ging alles sehr schnell. Aufgrund meiner Seheinschränkung wurde ich arbeitsunfähig, musste meinen Beruf aufgeben. Das war schwierig zu akzeptieren.» Doch Marco Melchior wäre nicht Marco Melchior, wenn er nicht auch einen Umgang mit dieser Situation gefunden hätte. Anstatt auf grossen Radtouren mit dem Rennvelo, auf die er sich nach seiner Pensionierung so gefreut hatte, radelt er seine Kilometer jetzt auf dem eigenen Home-Trainer ab. Und den Winter geniesst er nicht mehr, indem er auf Ski die steilen Pisten hinabsaust, sondern auf ausgiebigen Schneeschuhtouren durch sanfte Winterlandschaften, die er dank einer 1-zu-1-Betreuung durch professionelle Begleitpersonen vom SZBLIND noch machen kann.

Retinitis pigmentosa

Retinitis pigmentosa, kurz RP, gehört zu den genetischen, erblichen Netzhauterkrankungen. RP führt zur Zerstörung der Netzhaut. Die Folgen sind Nachtblindheit, Tunnelblick, abnehmende Sehschärfe und im Endstadium häufig die vollständige Erblindung. RP ist bis heute nicht heilbar.

Kleiner Sehrest – grosse Hoffnung

Dass Marco Melchior trotz seiner doppelten Sinneseinschränkung sein Leben noch weitgehend selbstständig bestreiten kann, erfüllt ihn mit Stolz. «Ich habe das ganze Leben als selbstständiger Kaufmann gearbeitet. Diese Selbstständigkeit ist mir wahnsinnig wichtig.» Wichtig ist ihm aus diesem Grund auch der winzig kleine Sehrest seines Tunnelblicks, der ihm im einen Auge noch geblieben ist. Und der es ihm zum Beispiel ermöglicht, dank einer Lupenbrille noch ein wenig lesenzu können. «An diesem kleinen Sehrest hängt sehr viel von meiner Lebensqualität ab», betont Marco Melchior. «Deshalb bin ich sehr gespannt auf den nächsten Sehtest. Mit ganz viel Glück können wir es schaffen, dank dem allerneusten Material noch etwas ‹rauszukitzeln›.» Und sollte dies nicht möglich sein, wird ihm seine Lebenseinstellung helfen, dennoch positiv zu bleiben. Und mit der Antwort auf die Frage, wofür Marco Melchior in seinem Leben besonders dankbar ist, schliesst sich der Kreis: «Auf die Gabe, das Schicksal akzeptieren zu können und das Beste aus der Situation zu machen.»

50 Franken für die Anpassung und Weiterentwicklung von wichtigen Hilfsmitteln.

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