Sarah Fuchs

Die Kämpferin, die alles alleine schafft. Fast alles.

«Ich habe mich von meiner Behinderung nie stoppen lassen. Aber meine Belastbarkeit hat Grenzen.»

Mit geübten Griffen bewegt Sarah Fuchs das Knie ihrer Patientin erst in die eine, dann in die andere Richtung. In der Physiotherapiepraxis im Untergeschoss ihres Wohnhauses therapiert die 40-Jährige, die seit ihrer Kindheit am Usher-Syndrom leidet, die Beschwerden anderer Menschen.

Zahlreiche Diplome – von Physiotherapie über manuelle Lymphdrainage bis hin zu Schwangerschaftsyoga – schmücken die Wand im Praxiswartezimmer von Sarah Fuchs. «Das Bedürfnis, Neues zu lernen, begleitet mich schon mein ganzes Leben lang», erzählt sie. «Zwar war schon früh klar, dass ich hörsehbehindert bin. Aber das hat mich nicht davon abgehalten, das zu erreichen, was ich mir in den Kopf gesetzt habe». Seit sie zweieinhalb Jahre alt ist, trägt Sarah Fuchs ein Hörgerät. Dank der frühen Sprachförderung durch ihre Mutter und jahrelanger Logopädie merkt man der hochgradig Schwerhörigen nicht an, dass sie nur mithilfe ihres Hörgeräts hört. Sie spricht klar und deutlich. Telefoniert sie mit einem Patienten oder einer Patientin, dann hängt sie sich fürs bessere Verständnis einen kleinen Verstärker um, der das Gespräch direkt in ihr Hörgerät leitet.

Sie macht, was geht

Das Gesichtsfeld von Sarah Fuchs ist ebenfalls stark eingeschränkt: Sie hat einen «Tunnelblick» – das heisst, sie sieht nur in der Mitte scharf. Zudem kann sie nicht dreidimensional sehen, da ihre Augen nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander «scharf» stellen können. Als Kleinkind hatte sie zum Beispiel Angst vor Pfützen: Kein Wunder, denn sie konnte nicht abschätzen, wie gross und tief sie sind. Abgesehen davon war und ist Sarah Fuchs jedoch ziemlich angstfrei. Als Kind fuhr sie wie alle anderen Velo, als Teenager sogar Mofa. «Im Nachhinein betrachtet, waren Velo- und Töfflifahren schaurig gefährlich für mich. Aber ich habe mir als Kind und Jugendliche darüber gar keine Gedanken gemacht, denn es ging ja irgendwie», erzählt sie schmunzelnd. Und auch sonst lässt sie sich von ihrer Behinderung so wenig wie möglich bremsen.

Limitiert bei der Berufswahl

Nach Abschluss ihrer Schulzeit, wovon sie fünf Jahre auf einer speziellen Schule für Hörbehinderte verbrachte, ging es an die Berufswahl. Zum ersten Mal stiess die energiegeladene junge Frau auf Hindernisse: «Ich konnte in vielen Betrieben schnuppern, zum Beispiel als Hochbauzeichnerin oder medizinische Laborantin. Doch leider hat man mir wegen meiner Behinderung oft von der Berufswahl abgeraten. Schliesslich habe ich mich für Physiotherapie entschieden – und es keinen Tag bereut», erzählt sie.

Mit viel Herzblut arbeitet sie seither als selbständige Physiotherapeutin – teils in der eigenen Praxis, teils in einer auswärtigen Praxis oder im Altersheim. An ihre zwei Arbeitsstellen ausser Haus pendelt sie eigenständig mit Zug und Bus. In der Dämmerung nimmt sie den weissen Stock zur Hilfe. Vor einigen Jahren hat sie mit einer Fachperson des SZBLIND ein Stocktraining absolviert, für das sie noch immer dankbar ist. «Der weisse Stock gibt mir Sicherheit. Nicht nur, wenn ich im Dunklen unterwegs bin, sondern auch inmitten vieler Leute, z.B. an grossen Bahnhöfen. So erkennen die Menschen leichter, dass sie auf mich Rücksicht nehmen sollen.» Den weissen Stock zu benutzen, hat sie eine Zeit lang ziemlich Überwindung gekostet. «Ich fühle mich mit dem Stock dann immer so ausgestellt. Ausserdem habe ich eine Hand weniger frei. Und manchmal, wenn ich im ÖV am Handy etwas schreibe oder lese – was mit meiner Sehbehinderung ja möglich ist – und ich beim Aussteigen den Stock aufklappe, schauen die Leute irritiert. Wahrscheinlich halten sie mich für eine Hochstaplerin», sagt sie und lacht. «Für viele bedeutet Stock gleich blind. Dass es verschiedene Arten von Seheinschränkung gibt, das wissen nur Wenige.»

«Lese ich im Zug etwas am Handy und klappe danach den weissen Stock auf, schauen die Leute oft irritiert.»

Unterstützung für eine starke Frau

Obwohl Sarah Fuchs eine selbstständige, starke Frau ist, die trotz Behinderung ihre drei Kinder aufzieht, stösst auch sie an ihre Grenzen. Nicht umsonst übt sie ihren Beruf als Physiotherapeutin in selbstständiger Tätigkeit aus. Sie schätzt die Flexibilität, sich Termine so legen zu können, dass es ihr nicht zu viel wird. «Ich könnte nicht konstant im 30-Minuten-Takt arbeiten wie andere Physiotherapeuten. Denn ich muss mich sehr konzentrieren, um zu verstehen, was meine Patienten und Patientinnen sagen – besonders bei älteren oder fremdsprachigen Menschen. Dass diese wegen der Corona-Pandemie eine Maske tragen müssen, macht die Sache für mich nicht einfacher», erklärt sie.

Dank der Unterstützung und Beratung durch Astrid von Rotz, einer Sozialarbeiterin des SZBLIND, konnte Sarah Fuchs vor einiger Zeit bei der Invalidenversicherung ihr Anrecht auf ein sogenanntes «Assistenzbudget» durchsetzen. Kommunikationsassistenten des SZBLIND stehen Frau Fuchs zudem für anspruchsvolle Situationen zur Verfügung. Ebenso hilft eine freiwillige Mitarbeiterin des SZBLIND bei der Administration ihrer Physiotherapiepraxis. Und auch den Kontakt zum Rechtsdienst einer Selbsthilfe-Organisation, die ihr in Rechtsfragen beratend zu Seite steht, hat der SZBLIND vermittelt. Seit vier Jahren kämpft sie nun schon um eine rückwirkende IV-Rente. «Ich bin niemand, der andere gerne um Hilfe bittet. Aber es gab und gibt noch immer Situationen, in denen ich sehr froh um die Unterstützung des SZBLIND bin. Sie gibt mir Sicherheit – wie der weisse Stock in der Dunkelheit.»

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